R. C. Schwinges: Universität, Religion und Kirchen

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Titel
Universität, Religion und Kirchen.


Herausgeber
Schwinges, Rainer Christoph
Reihe
Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 11
Erschienen
Basel 2011: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
585 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Manuela Specker

Ohne Religion und Kirchen gäbe es keine Universitäten. Allerdings ist das Verhältnis weitaus komplexer, als diese zentrale These vermuten lässt. Der von Rainer Christoph Schwinges herausgegebene Band «Universität, Religion und Kirchen», das Resultat einer gleichnamigen Tagung der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW), zeigt die wechselseitigen Beziehungen und Einflussnahmen auf, von den Anfängen der Universität in Europa um 1200 bis hinein in das 20. Jahrhundert. Damit konnte die bisher von der Forschung vernachlässigte langfristige Perspektive ins Blickfeld genommen werden. Erklärtes Ziel des 585 Seiten starken Bandes war es zudem, die veränderten Bedingungen in vormodernen und modernen Gesellschaften aufzuzeigen, welche Universität, Bildung und Wissenschaft bewirkt haben; dies entspricht nicht zuletzt dem elementaren Anliegen der GUW. Damit ist angedeutet, dass die europäischen Universitäten zweifellos nicht nur Spiegelbild, sondern auch Gestalter gesellschaftlicher und kirchlicher Verhältnisse waren.

Vor der Reformation war die Abhängigkeit der Universitäten vom Papst und der damit verbundenen Privilegien und Pfründen zwar relativ gross, und die Kirche stellte den grössten Arbeitsmarkt für Akademiker dar. Doch der Band vermag diese einseitige Sichtweise überzeugend aufzubrechen. Päpste machten sich Universitäten immer wieder in ihrem Kampf gegen die Häresie zunutze, und es waren vor allem Universitätsgelehrte, welche die wichtigsten Impulse auf den Konzilien im 15. Jahrhundert lieferten. Heribert Müller bezeichnet die Universitäten in seinem Beitrag als Ideenschmieden für einen systemimmanenten Umbau der Institution Kirche, als ideologische Urheber und Betreiber des Konzilgedankens – selbstverständlich vor dem Hintergrund, dass die Universitäten nicht über die notwendige Durchsetzungskraft bei der Verwirklichung desselben verfügten. Ein Blick auf die engen personellen Verflechtungen, auf die hohe Mobilität und den Wissenstransfer machen deutlich, dass es zu kurz greift, im Verhältnis Universität-Kirche von einseitigen Abhängigkeiten zu sprechen.

Es ist eine der Stärken des Bandes, die Multidimensionalität der Interaktionen und Verknüpfungen zu beleuchten, so dass der alte, vor allem im deutschsprachigen Raum ausgetragene Streit um die Frage, ob die Universität nun staatlichen oder kirchlichen Charakter hatte, obsolet wird. Es war gerade die Konkurrenz königlicher und kirchlicher Gewalten, welche den Universitäten Freiräume gab und damit Entwicklungschancen ermöglichte, wie Jürgen Miethke in seinem Beitrag aufzeigt. Akademische Freiheit gepaart mit religiösem Glauben erzeugte vor allem im Zuge der Aufklärung freilich ein Spannungsfeld, dem der Band gebührend und perspektivenreich Aufmerksamkeit schenkt. Der Konflikt kam auch im Mikrokosmos der Studenten zu tragen, die von den Obrigkeiten zunehmend für ihren «gottesunverträglichen Lebensstil» gerügt wurden.

Das Werk betont – von einer Vogelperspektive aus gesehen – die gemeinsamen Entwicklungen und Beeinflussungen, ohne die Konflikte zwischen Kirche und Universitäten zu marginalisieren. Eine solche Sichtweise wird dem Verhältnis von Universität, Religion und Kirchen gerecht. Glaube und Wissenschaft werden selbstverständlich schon lange nicht mehr als unvereinbare Gegensätze gesehen, wie ja alleine schon die Entwicklung innerhalb der Theologie und ihrer Hinwendung zur historisch-philologischen Methode zeigt. Genauso wenig kann die Säkularisierung mit dem Schwinden der Religion gleichgesetzt werden.

Das Buch ist in die Kapitel Päpste und Universität, Kirche und Universität sowie Theologie und Universität gegliedert. Vor allem die konfessionellen Spezifika lassen sich nicht immer eindeutig zuordnen, doch werden mit diesem Fokus spannende Einblicke in die unterschiedlichen Gepflogenheiten geboten, ohne Konfessionen zu homogenisieren und die altbekannte Frontstellung zu übernehmen. So waren katholische Studenten keinesfalls «heilig», was ihren Alkoholkonsum und ihre Anwendung von Gewalt anbelangte – zwei Bereiche, die lange grossmehrheitlich mit der protestantisch geprägten Studentenidentität in Verbindung gebracht wurden. Indem der Band den Fokus auch auf die konkrete lokale Ebene und auf lokale Lebenswelten legt, wird zudem die Idee von rückwärtsgewandten Katholiken und die Moderne umklammernde Protestanten kritisch hinterfragt.

Eine ländervergleichende Perspektive war innerhalb dieser ambitiösen, epochenübergreifenden Darstellung nur am Rande möglich, ohne aber eine entscheidende Tatsache zu verfehlen: Universität und Religion können nicht losgelöst von den jeweiligen politischen Verhältnissen betrachtet werden. Der Band erweckt deshalb zu keiner Zeit den Eindruck, das Verhältnis Universität, Religion und Kirchen folge einer linearen Entwicklung. Im barocken, katholischen Italien beispielsweise war – anders als in protestantisch geprägten Ländern – die Universität eine Randerscheinung. Der Band schafft auch hier den Spagat, die konfessionellen Disparitäten zu betonen, ohne die Idee eines wissenschaftsfremden Katholizismus oder einer wissenschaftsfremden Theologie zu bedienen. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bildeten Theologie, Glaube und Aufklärung gemäss Notker Hammerstein ein fruchtbares Nebeneinander: «Ohne [...] Teilnahme der Theologischen Fakultäten an der zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskussion wäre es vermutlich nicht zu den neuen Vorstellungen gekommen, wie sie im deutschen Idealismus, im Historismus, in den Ideen von Wesen und Aufgabe der Universität im 19. Jahrhundert zutage treten sollten» (454).

Im Zeitalter der Säkularisierung verloren konfessionelle Eigenheiten nicht an Bedeutung. Es war die jeweilige konfessionelle Kultur, die den akademischen Kalender und die Festkultur an den Universitäten zum grossen Teil prägte. Dies wirkte nicht nur integrativ, sondern war immer auch mit der Ausgrenzung jüdischer Mitstudierender verbunden, wie Marian Füssel in seinem Beitrag darlegt. Zum Antijudaismus kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Rassenantisemitismus dazu; Universitäten waren unzweifelhaft immer auch Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse, wie sich nicht zuletzt an den wandelnden Schwerpunkten der Studentenverbindungen zeigt. Bei allen konfessionellen Spaltungen waren sie geeint in ihrer Abwehr des Judentums.

Kaum zur Sprache kommt im Buch der Einfluss des Islams auf die Entwicklung der Universitäten, was aber dem Herausgeber nicht ernsthaft zum Vorwurf gemacht werden kann, zumal die Anfangsphase der Universitäten in Europa für die Tagung lediglich den Ausgangspunkt einer Reise durch die folgenden Jahrhunderte darstellte, um die vielschichtige Verquickung von Universitäten, Religion und Kirchen aufzuzeigen. Eine solche epochenübergreifende Perspektive, die sich überdies auch geographisch nicht eindeutig festlegt, kann unmöglich ohne grosse Lücken auskommen. Hingegen wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Behauptung, wonach die Universität europäischen Ursprungs sei, nicht als unumstössliche Tatsache dargestellt worden wäre. Eine solche Sichtweise hängt immer auch davon ab, welche Strukturmerkmale einer Universität in Betracht gezogen werden. Erhellend wäre ein Fokus auf Kulturtransfers; es liesse sich genauso gut die tragende Rolle muslimischer Intellektueller auf das Aufkommen europäischer Universitäten beleuchten. Als sich zum Beispiel Gelehrte in Paris zu Höheren Schulen zusammenschlossen, hatte sich in der muslimischen Welt bereits Ähnliches ereignet.

Es scheint eine Tradition in der deutschsprachigen Wissenschaft zu sein, das Werk des Islamwissenschaftlers George Makdisi entweder zu ignorieren oder seine Thesen vollumfänglich zu verwerfen (Makdisi zeigte unter anderem auf, dass das europäische Universitätskollegium auf die islamische Rechtsschule, die Madrasa, zurückgeht). Dies ist umso bedauerlicher, als der Band selber darauf hinweist, dass neben den christlichen Konfessionen auch andere Religionen am Entstehen der Universität in Europa beteiligt waren. Ein solcher Ansatz drängt sich nur schon deshalb auf, weil es islamische Gelehrte waren, die das antike Wissen aufnahmen und es in das christliche Europa brachten. Nicht nur in intellektueller, auch in institutioneller Hinsicht stellt sich die Frage nach dem islamischen Einfluss. In der Betonung eines genuin europäischen Ursprungs der Universitäten schwingt deshalb immer auch – ob gewollt oder ungewollt – Abgrenzung mit. Untersuchungen über den islamischen Einfluss täten der Tatsache keinen Abbruch, dass die Universitäten selbstverständlich von Beginn weg europäisch ausgerichtet waren und sich entsprechend der hiesigen Bedingungen und Bedürfnisse entwickelten. Schliesslich waren die Universitäten, wie der Tagungsband schön aufzeigt, nicht nur Produkt, sondern auch Mitgestalter kirchlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse.

Zitierweise:
Manuela Specker: Rezension zu: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Universität, Religion und Kirchen, Basel, Schwabe Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 764-766.

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